Kampfkunst als Lebenswerk von Murielle Buchs
Bruno und Ruth Trachsel sind ein starkes Ehepaar. Seit 15 Jahren unterrichten sie Kampfsport in ihrer eigenen Schule.
Sein Blick ist wach. Aufmerksam fixiert er sein Gegenüber. Der Angriff kommt plötzlich. Mühelos pariert er ihn mit wenigen Handgriffen. Ein Fusstritt – und die Angreiferin liegt selbst am Boden. Bruno Trachsel unterrichtet Kampfsport. Seine Gegnerin ist seine Frau Ruth, natürlich nur im Training. Die beiden sind ein Team. Seit 15 Jahren führen sie gemeinsam die Kampfsportschule im Tempel Thun.
Vom «Fieber» gepackt
«1977 wurde ich auf eine Ausschreibung von Karatekursen aufmerksam», erinnert sich der 67-jährige Bruno Trachsel an die Anfänge zurück: «Kaum hatte ich begonnen, packte mich das Fieber». Mit eisernem Willen und viel Fleiss erlernte Bruno Trachsel seine «Katas». So werden die verschiedenen Bewegungsabläufe in japanischen Kampfsportarten genannt. «Bald schon konnte ich selbst Karate-Unterricht leiten», erzählt er. Hauptberuflich arbeitete er zunächst als Elektriker und half in der Mineralwasser-Handlung seiner Eltern mit. Nach ersten erfolgreichen Jahren als Karatelehrer entschloss sich Bruno Trachsel mit Hans Müller, seinem früheren Lehrer, den heutigen Tempel an der Tempelstrasse in Thun, nahe des Verkehrsprüfungszentrums, zu errichten. Das war 1997. «Der spezielle Holzbau erinnert an einen japanischen Tempel», erzählt Bruno Trachsel.
Bruno Trachsel gab nicht nur Karate-Unterricht, sondern entwickelte sich in der Kampfkunst stetig weiter. Durch Willenskraft, Ausdauer, technisches Geschick sowie die grosse Unterstützung seiner Frau erlangte er 2014 als erster gebürtiger Schweizer innerhalb des Schweizerischen Karateverbands den siebten Dan.
Als «Dan» wird im Kampfsport der Meistergrad bezeichnet, den ein Kämpfer innehat. Insgesamt gibt es zehn Dans. Für einen Europäer insbesondere stellt die Erreichung von sieben Dans eine ausserordentliche Leistung dar. «Besser bin ich deswegen nicht. Ich muss immer noch jeden Tag trainieren», erklärt Trachsel bescheiden.
Im Einsatz
Bruno Trachsel strahlt wache Bereitschaft aus. Bisher sei er im Alltag nie angegriffen oder angepöbelt worden, sagt er. Seine Kampfkünste konnte er dennoch schon einsetzen. «Einmal war ich auf dem Weg zur Post. Da kam ein Räuber herausgestürmt. Ich konnte ihn gleich dingfest machen.»
Ein anderes Mal sei er mit seinem Sohn im Auto unterwegs gewesen. «Wir beobachteten, wie ein Typ mit einer Kasse vom Märit her davonrannte.» Sein Sohn und er hätten ihm auf einem nahe gelegenen Parkplatz den Weg abgeschnitten und ihn mit wenigen Handgriffen gestoppt. «Eine Frau kam plötzlich laut schimpfend auf uns zu. Wir sollten gefälligst den armen Mann loslassen», erzählt Trachsel lachend. «Wir erklärten ihr, dass der Mann soeben Geld gestohlen habe. Da fing sie mit dem Dieb an zu schimpfen.»
Auch Ruth Trachsel ist ausgebildete Kampfsportlerin. Sie besitzt den vierten Dan im Karate. Für sie steht der gesundheitliche Aspekt des Kampfsports im Vordergrund: «Insbesondere für Kinder ist das Training wertvoll. Einerseits haben sie dadurch eine regelmässige Bewegung, die auch die Koordination fördert. Andererseits lernen sie, selbstsicherer zu sein und Grenzen zu setzen.»
Das Ehepaar unterrichtet im Tempel nebst Karate auch Krav Maga, eine israelische Selbstverteidigungstechnik. Die Technik sei schnörkellos und für jedermann rasch zu erlernen, erklä- ren die beiden Trainer. «Wir finden, dass sich die beiden Kampfsportarten gut ergänzen. Sie haben uns auf unserem Weg inspiriert», ergänzt Ruth Trachsel.
Hoffen auf eine Fortsetzung
Bruno und Ruth Trachsels Vision ist es, ihrer Leidenschaft möglichst lange nachzugehen. Sie hoffen, dass die Pandemie bald vorbei ist, «damit wieder ein Stück Normalität einkehrt». Ihre Schule möchten sie eines Tages gerne in vertrauenswürdige Hände übergeben. «Unser Lebenswerk soll seine Fortsetzung finden.»
Auch im Kampfsporttraining hat die Corona-Zeit ihre Spuren hinterlassen. «Zu Beginn der Pandemie durften wir nicht mehr im Dojo, das heisst in unserem Trainingsraum, zusammenkommen», sagt Bruno Trachsel rückblickend. Es sei eine schwierige Phase gewesen. Deshalb möchte er sich bei seinem Freund Giuseppe Puglisi, Chefinstruktor der Krav Maga Self Protect Association, bedanken: «Er stellte ein Konzept auf, mit dem wir auch während des Lockdown Trainings durchführen konnten – online. Das hat viele Kampfsportschulen gerettet.»
Quelle: Thuner Tagblatt, 19.10.2021